Die Zusammensetzung der Triptychen basiert auf der Zeit.

Gelatine als organischer Stoff zerreißt altersbedingt, daher kam es mir so vor, wie wenn diese Formverwandschaft ein Hinweis darauf ist, dass diese in ihren Rissen formähnlichen Präparate der selben Versuchsreihe entstammen.

Es ist nur eine Vermutung.

Als ich die Präparate bekam, begannen manche bereits auszutrocknen und zu zerreissen, manche waren noch intakt.

Um den Prozeß zu beschleunigen legte ich sie auf die Heizung.

Durch den fotografischen Umkehrprozeß , das Präparat diente als Negativ, bildeten sich die Präparate (konkrete Materie) als helle Flächen ab und die Risse (die Lücke zwischen den Präparatbruchstücken, also quasi das “Nichts”) als schwarze Linien.

“Autogenes”

2003

Die hier verarbeiteten Präparate stammen ursprünglich aus der Gen-Pathologie.

Die Gene sind in einer Art Gel gebunden und stellen sich als bambusähnliche Struktur da.

Als ich die Präparate bekam, fingen manche an zu reißen, manche waren noch intakt. Agar-Gel als organischer Stoff zerreißt altersbedingt

und um den Prozeß voranzutreiben, beschleunigte ich den Trocknungsvorgang, indem ich die Präparate auf die Heizung legte.

Die dadurch gänzlich zerrissenen Original-Präparate legte ich auf Fotopapier und so entstanden Fotogramme im Maßstab 1:1 .

Durch den fotografischen Umkehrprozeß , das Präparat diente als Negativ, bildeten sich die Präparate (die konkrete Materie) als helle Flächen ab und die Risse

(die Lücken zwischen den Präparatbruchstücken, also quasi das Nichts) als schwarze Linien. Die formverwandten Präparate fügte ich zu Triptychen zusammen,

da mir die Weise, in der sie gerissen sind, Aufschluss über ihre zeitliche Verwandtschaft zu geben scheint.

Die Form der Risse brachte der Zufall ins Spiel.

Die Zeit setzte die Veränderung in Gang (und verändert die Präparate immer weiter), und der autogene Prozeß des Zufalls bestimmt die Ästhetik.

Diese Ästhetik des Zerfalls und gleichermaßen der Chance des neu Zusammenfügens und Wiederaufbauens ist meine künstlerische Auseinandersetzung

mit der Gentechnik und der Frage „woher wir kommen und was wir sind“.

Entstanden sind fünf Triptychen, in unterschiedlichen Stadien von Zerfall und Abbildung.

Gabi Kaiser spannt in ihrer fünf Triptychen enthaltenden Fotografieserie mit dem Titel „Autogenes“ Schwarz-Weiß Gegensätze auf und verbindet sie zu etwas Einheitlichem. Sie lässt Mikrokosmen auf Makrokosmen stoßen und sucht eine Antwort auf die existentielle Frage nach dem, was unser Leben im inneren und äußeren Weltraum an Inhalten anbietet.

Sie ließ im Prozess ihrer Arbeit an der Serie hauchdünne Agar-Gel Nährmedien mit Genträgern trocknen, um sie anschließend in der Dunkelkammer als Negativ zu beleuchten. Es sind dabei Fotografien entstanden, die an Arabesken erinnern, also schlängelnde und verschlungene Zeichen, die ohne Sprache auskommen, aber Sinnbilder von etwas Grenzartigem und Weitstrahligem sind. Die schwarzen Flächen auf den Fotografien sind Risse auf dem als Negativ benutzen Nährmedium, die durch den Trocknungsprozess entstanden sind und im Positivbild eben Arabesken ähneln.

Das Nährmedium wurde so zur Träger- und Ausdrucksfläche, die Mikroskopisches als etwas Größeres aufleuchten lässt. Neben dem halbdiffus erkennbaren mikrokosmischen Abdrucks der rechteckigen Genträger ist eine Ähnlichkeit zur Wabenstruktur des Universums mit seinen Filamenten und Voids erkennbar. Die im getrockneten Agar-Gel befindlichen Genträger, welche auf dem Positivbild dezent aufleuchten, sind bekanntlich Baupläne des Lebens und können sich außerhalb der Isolation eines Nährmediums selbstätig weiterentwickeln und fortpflanzen, darauf verweist der Titel der Arbeit ausdrücklich. Auf den Fotografien liegt über diesem mikroskopischen Bauplan des Lebens mit der Welt des makrokosmischen Universums ein weitaus größerer Bauplan angeordnet. Bloß, dass die Voids, also der leere Raum, das Nichts oder in der Astrophysik auch Dunkle Materie genannt hier umgekehrt als weiß aufscheinen könnte und die Filamente, die Verflechtungen der Galaxien und Galaxienhaufen zu Supergalaxienhaufen schwarz.

Trotz der Tatsache, dass das Weiß in Kaisers Fotografien für das Nichts stehen könnte, steht Weiß im Allgemeinen für die Abwesenheit aller Farben. Für das menschliche Auge wird sie jedoch als Metapher für die Anwesenheit des wahrnehmbaren Lichts verstanden. Mit geeigneten Kameras wie Röntgen-, UV- und Infrarotkameras kann sogar das ganze physikalische Lichtspektrum sichtbar gemacht werden. In der vorliegenden Serie „Autogenes“ könnte folglich ebenfalls das arabeske Schwarz als das Nichts sichtbar gemacht sein. Obwohl es nichts zu sein scheint, stellt es Seiendes dar und wird bei logischer Reflexion auch als jenes erkannt: Wenn ich das Nichts benennen kann, ist Nichts nicht mehr Nichts, sondern etwas, was ich eben benannt habe. Schwarz ist selbstverständlich sichtbar. Wenn Schwarz das Nichts ist, ist das Nichts automatisch sichtbar gemacht worden. In gewisser Weise ist der Kontrast bei Kaiser von Schwarz und Weiß eine aus Gegensätzen bestehende Einheit von Schwarz als das Dunkle und Unbekannte und das Weiß und Helle als das Bekannte.

Ähnlich dem Aufspannen und Vereinen von Mikrokosmos und Makrokosmos im konkret sichtbaren Erbmaterial mit dem durch die Arabesken abstrakt ins Sein gehobene Nichts der Risse im Negativ wirft Kaiser folglich die Frage nach dem Bekannten und Unbekannten auf, nach dem Zufall und dem Schicksal. Die abstrakte und kleinste mitgedachte Struktur der DNA als Spiralstruktur des Lebens in Verbindung mit der größten mitgedachten Dimension der Wabenstruktur des Universums ermöglicht die Frage nach der Deckungsmöglichkeit von kleinstmöglichen Bestandteilen des Lebens mit dem größten tatsächlichen Raum, in dem Leben existiert.

Aus der Perspektive eines Individuums betrachtet, löst der Blick in die Sterne Demut, Ehrfurcht, poetische Ausdrucksmöglichkeiten und das Bewusstsein von der Einzigartigkeit des Lebens auf der Erde aus. Der mikroskopisch kleine Blick auf das Leben, das die Spiralstruktur der DNA beinhaltet und kreiert, löst in der Gegenwart den Optimismus aus, das Leben gesundheitlich zu verbessern und zu verlängern. Das vermeintliche Schicksal Mensch zu sein, so wie er nun eben als Individuum ist, lebt, sich verhält und sterben muss, so ist auch die Erde die einzige Heimat, auf der der Mensch ist, lebt, sich verhält und stirbt. Ohne die geringste Möglichkeit in Zukunft nur in die Nähe von Nachbarsternen umkreisenden habitablen Exoplaneten zu gelangen, ist mit dem genetischen Zufall verbunden, dass bei der Entstehung neuen Lebens die Erbinformationen zweier Menschen mit einem Würfelwurf vereinheitlicht werden, so als ob man einen willkürlich verzahnten Reissverschluss zumachen würde. Die Zukunft, den Würfelwurf der Lebensentstehung zu beeinflussen, ist längst Realität geworden, aber der Zufall „alleine“ im Universum zu sein, scheint trotz anders weismachender Science Fiction unüberwindbar und nicht beeinflussbar zu sein.

Die offene Frage nach der Beantwortung von Schicksal und Zufall, von zweckmäßiger, also teleologischer, und willkürlicher Entwicklung deutet Kaiser in ihrer Bildserie an, gerade indem sie den Mikroraum der Gene auf den Makroraum des Universums kollidieren lässt. Diese alten noch immer unbeantworteten Fragen bzw. in verschiedenen Weltanschauungen untersuchten Ursprüngen, über die nicht nur abendländische Philosophen abstrakt Antwort gaben, in dem sie vom Widerstreit eines allumfassenden logos sprachen, der Ursprung und Einheit alles Seienden sei, von höheren „Ideen“ bis hin dazu, die Welt und alles Seiende als Weltseele zu beschreiben.

Kaiser stellt sich in ihrer Serie bildhaft die Frage nach dem „Woher kommen wir und wo gehen wir hin?“. Die Ohnmacht, die uns überfallen kann, wenn wir in die Weiten des Nachthimmels blicken, liegt auch in der Schau von uns selbst verborgen. Unter den Arabesken und der Abbildhaftigkeit des Mikro- und Makrokosmos scheint der Erkenntnishunger ebenso sehr nach dem auf, Antworten darauf zu finden, wer wir sind und was in uns verborgen liegt. Dinge, die wir nicht verstehen, aber verstehen lernen wollen oder Verständnis des Verhaltens und Handelns anderer und uns selbst mehren wollen. Wir sind auf den Spuren des Verständnisses des Alls in uns. Diese Spurensuche unternimmt Kaiser über das Medium des visuellen Bildes.

Abstrakte Schwarz-Weiß Fotografie sind eine Möglichkeit Licht in das große Dunkel des Unverstandenen von Kleinem wie Großem zu werfen. Die Arabesken bringen die Holzwege und Lebenswege des Menschen auf dem Weg der Erkenntnis vielleicht besser zum Ausdruck als Kurven der Wahrscheinlichkeit, Linien eines Baumes oder die gerade Strecke einer Autobahn. Kaisers künstlerisches Verfahren, Abbilder eines gewöhnlichen Nährmediums zu produzieren, die verwandte Einblicke in das Ursprungsbild vom Bauplan des Lebens gewähren, hebt sich zum Ausdruck und Abdruck des Kosmischen empor. Es ist ein Verfahren, das das Spannungsfeld von leben und leben lassen aufzeigen möchte. Zeit und Raum verändern sich dabei, wie das Leben eines Menschen, der einem anderen näher kommt und sich ihm öffnet oder sich von ihm abwendet und zurückzieht.

Text: Christian van Dorne

Triptychon “Autogenes”/ Heidelberger Kunstverein 2004/ 360 x 140 cm/ Cibachrome

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